Zwischen den Bäumen wird der Farbstein fein justiert. Die schriftliche Anleitung Farbe, Zahl, Gewicht in einer anderen Sprache geschrieben, nie gesprochen. Verwandeln ohne zu verharren verharren ohne zu verwandeln. Weil es Stetiges gibt im Wandel gibt es die Einsamkeit der grünen Libelle. Weil es Flüchtiges gibt im Verharren gibt es die Einsamkeit des libellischen Grün. Ein künstlerisches Å’uvre ist wie ein Organismus: stets im Zustand der Veränderung und Ausdifferenzierung. Dies trifft im Besonderen auf die aktuellen Arbeiten von Michael Goller zu. »Als ich seinem Werk vor vier Jahren erstmals begegnete, war es geprägt von palimpsestartigen ›Komplexbildern‹, wie der Künstler seine Gemälde nannte. Ausgehend von einer konkreten Bildidee, die auf der vorbereiteten Leinwand fixiert wurde, schuf er seine Malereien durch Maskieren einzelner Bereiche und schichtendes Abdecken anderer mittels ausgesprochen gestischen Farbauftrags. Helle Töne in zarten Blau-, Grau-, Rosé- und Grünnuancen bestimmten den Eindruck seiner vollflächig bemalten Arbeiten«, so Claus-Dieter Tholen. Nunmehr vier Jahre später hat sich nicht nur die Erscheinungsform der Werke Gollers radikal verändert, sondern auch die Art und Weise, wie sie entstehen. Nach einem grundlegenden folgenreichen Prozess der Auseinandersetzung mit seiner Umwelt und sich selbst gelangte der Künstler zu einem neuen Arbeitsprozess, der eine neue Ausrichtung des Å’uvres bedingte. Michael Goller braucht nicht mehr den äußeren Eindruck oder eine auslösende Bildidee, um in den kreativen Prozess einzusteigen. Nach Jahren des Erarbeitens der ihm eigenen Bildsprache kann er aus dem Reichtum seines Inneren schöpfen. Um zu diesen inneren Quellen, quasi ad profundum, vorzudringen, bedarf es der Stille, der Abspaltung alles Äußeren, äußerster Fokussierung. »Ich meditiere mit Farben«, bezeichnete es Alexej von Jawlensky. Michael Goller jedoch bedarf der Farbe zunächst nicht. Sein hauptsächliches Medium ist gegenwärtig das Papier, mitunter wandfüllenden Formats, das er im Zustand höchster Konzentration mit Bleistift, Feder oder Silberstift mit einem grafischen Netz überzieht – ebenso figurativ (Goller nennt diese Blätter »Bild«) wie abstrakt (»Text«), doch Assoziationen an organische Formen oder Skripturales zulassend. Vergleichbar der von den Surrealisten erstrebten écriture automatique bedeckt er seine bis zu 250 Zentimeter langen »Schriftrollen« oder die ebenso hohen »Wandblätter« mit einem Gespinst dessen, was aus seinem Innersten an die Oberfläche des Bewusstseins dringt. Arbeitstechnik wie künstlerisches Ergebnis wecken jetzt noch mehr als zuvor Assoziationen an das Schaffen Gerhard Altenbourgs und Carlfriedrich Claus‘. Doch Goller geht weiter und über sie hinaus. Er verharrt nicht im Grafischen. Hinzu kommt die Farbe – nunmehr in satten dunklen Tönen. In einem eigenen Arbeitsschritt entstehen kleinformatige Leinwände, die als gestisch-malerische Pendants die großformatigen Papiere spiegeln, reflektieren, auf einer anderen Ebene und in einem anderen Medium Ähnliches verarbeiten. Goller bezeichnet die Leinwände als »Kontext« zu den Papierarbeiten. Erst in der Zusammenschau, wie sie der Künstler mittels von ihm arrangierter Ausstellungen selbst herstellt, tritt das Einzelne in einen werkimmanenten Dialog zueinander. Was dabei dem Betrachter offenbart wird, bleibt ebenso geheimnisvoll wie ihre Entstehung selbst. In Novalis’ Fragmenten heißt es: »Alles, was wir erfahren, ist eine Mitteilung. So ist die Welt in der Tat eine Mitteilung – Offenbarung des Geistes. Die Zeit ist nicht mehr, wo der Geist Gottes verständlich war. Der Sinn der Welt ist verlorengegangen. Wir sind beim Buchstaben stehengeblieben. Wir haben das Erscheinende über der Erscheinung verloren«. Der zunehmenden Unverständlichkeit der Gegenwart – Grunderfahrung der Moderne – sucht Michael Goller mehr denn je mittels künstlerischer Arbeit zu begegnen. Eröffnung am Donnerstag, 12. Februar 2015, 19 Uhr, Ausstellung bis 5. April 2015, AC Galerie Claus-Dieter Tholen, Elsbach-Haus, Goebenstraße 3–7, 32052 Herford, www.das-kunstwerk.com