Erlernte Unmündigkeit? Werdet erwachsen!
Gütersloh, 26. November 2024
Bei den Naturvölkern und auch in antiken Hochkulturen gab es Initiationsrituale, die #Kinder zu #Erwachsenen machten. Es folgten Königreiche und die Rituale verschwanden, die Untertanen waren zur Unmündigkeit verdammt, zumal sie illeterat gehalten wurden. Gegen Ende des Mittelalters erfand Johannes Gensfleisch, genannt »#Gutenberg«, die wohl wichtigste, kulturelle Errungenschaft der Menschheitsgeschichte: den #Buchdruck mit beweglichen Lettern. Die #Bibel wurde für die Breite Masse verfügbar, die Leute fingen an zu lesen. Es folgte die Aufklärung, die die #Religion ihrer absoluten Macht entledigte.
Im Rahmen der Unterhaltungstechnik, beginnend mit dem Fernsehen, heute mit dem »Übermedium«, dem Internet, und den »Social Media« findet keine Gegenaufklärung statt, sondern so etwas wie eine Antiaufklärung oder Entmüdigung, Deliteralisierung. Niemand liest mehr gedruckte Bücher – das einzige Medium, bei dem das Denken im Kopf stattfindet. Bei allen anderen Medien ist alles vorgedacht oder das, was gedacht werden soll, wird durch mehr oder weniger geschickt angewendete Manipulation vorgegeben.
Neil Postman hat einst das Verschwinden der Kindheit beklagt. In Wahrheit verschwindet jedoch das Erwachsensein, und damit die Gewissheit, dass Verantwortung fürs eigene Handeln übernommen werden muss. Die These von #Postman ist nicht falsch, er hat das Verschwinden der Kindheit daran festgemacht, dass Kinder mit dem Beginn der Neuzeit dadurch zu Erwachsenen wurden, dass sie Lesen lernten, denn Fernsehen kann jeder, Lesen muss man aber lernen.
Dieser Umstand der Unmündigkeit sorgt für die »Spaltung« (Partikularisierung) der Gesellschaft. Eine bildhafte Analogie ist die Vereinzelung [sic!], die etwa in Stadien oder anderen Räumlichkeiten für viele Menschen gegen Massenanstürme oder Massenpanik angewendet wird. Dazu gibt es sogenannte »Vereinzelungsanlagen«.
Die #Unmündigkeit ist allerdings nicht »erlernt« oder »erworben«, sie ist per Status quo (vor-)gegeben. Nicht zuletzt auch durch den Konformitätszwang, der aufgrund verschiedener Umstände stattfindet. Man ist dazu gezwungen, sich der »Öffentlichen Meinung« zu unterwerfen, von der schon #Goethe sagte, dass niemand wisse, woher sie komme und wer sie mache, aber jeder kenne sie.
Insofern ist nicht nur die Freiheit der Meinungsäußerung, der #Kunst und der #Wissenschaft entscheidend, sondern auf der Passivseite noch viel entscheidender die Freiheit des Konsums von Meinungen, Kunst und Wissenschaft. Hier wird mehr als deutlich, wie dramatisch sich die #Social #Media auswirken, denn die dort zu findenden Inhalte werden (angeblich) weitestgehend von der Öffentlichung Meinung »kuratiert«. Man sieht das, was die meisten sehen, was die Mehrheit sieht. Was niemanden interessiert, bekommt man nicht zu Gesicht – es sei denn, man würde es aktiv suchen, was freilich den Allermeisten zu anstrengend ist und dem Unterhaltungscharakter der Plattformen krass widerspricht. Und selbst dann wird man unter Umständen nicht zuletzt durch das Framing des Mediums an sich Opfer von #Manipulation, #Lüge und #Täuschung – vor allem dann, wenn man nicht selbst denkt und sich nicht selbst eine substantiierte Meinung bildet. Führende Intellektuelle wie einst Arthur Schopenhauer oder Noam Chomsky haben Manipulationsstrategien aufgedeckt, die derweil – so Chomsky – nicht verschwörerisch sind. Schopenhauer hat mit seiner Eristischen Dialektik eine medienunabhängige Übersicht der Manipulation in der Kommunikation kreiert. Chomskys Manipulationsstrategien beziehen sich indes auf die Massenmedien. Das Lesen des gedruckten Wortes ist also letztlich in seiner Bedeutung kaum zu überschätzen. Es kommt freilich auch darauf an, was man liest. Je klarer das Denken ist, umso leichter kann man auch mit Schundliteratur umgehen. Postman sagte zum Beispiel, das #Fernsehen sei nicht für Idioten gemacht, sondern es erschaffe sie. Eine alte Weisheit ist, dass das Fernsehen Dumme dümmer macht und Kluge klüger macht. Das gilt wohl für alle Medien – das gedruckte Wort ausgenommen.