Kunsthalle Main, »What Is It Like to Be a Bat?«, 17. März bis 4. Juni 2023

Mainz, 6. Februar 2023

Ist Objektivität möglich, oder ist unsere persönliche Perspektive unausweichlich? Die Ausstellung »What is it Like to be a Bat?« (»Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?«) bringt Werke von 4 Künstlerkollektiven zusammen, die sich damit befassen, wie Realität produziert wird. Sie fragen nach den Wahrnehmungswelten nichtmenschlichen Lebens – von Tieren, Pflanzen und anderen Lebensformen – und sie lenken unseren Blick auf Dinge in Welt und Wissenschaft, die wir Menschen nicht wissen und fassen (können).

Ist Objektivität möglich, oder ist unsere persönliche Perspektive unausweichlich? Diese Frage stellt der Philosoph Thomas Nagel in seinem Text von 1974 »What Is It Like to Be a Bat?«. Nagel verwendet Fledermäuse als Metapher, um die Unterschiede zwischen subjektivem Erfahren und objektivem Wissen zu verdeutlichen. Auch wenn wir alles Erdenkliche über das Funktionieren von Fledermäusen, etwa der Art und Weise wie sie sich durch Echoortung orientieren, erforscht und experimentell bewiesen haben, wird es, so Nagel, weiterhin unmöglich sein, zu begreifen, wie eine Fledermaus ihre Umwelt tatsächlich wahrnimmt. Wir können nicht wissen, wie es für eine Fledermaus ist, eine #Fledermaus zu sein, sie also auf einer bewusstseinsbezogenen Ebene nicht vollständig verstehen. Mit anderen Worten: Die Erfahrung eines mentalen Zustandes ist subjektiv. Nagel glaubt an die Existenz von Tatsachen, die wir nicht in der Lage sind zu wissen. Er setzt damit der naturwissenschaftlichen Weltsicht, die das Bewusstsein auf physikalische Gesetzmäßigkeiten und #neurobiologische Erklärungen zu reduzieren versucht, eine andere Sichtweise entgegen. In der Diskussion menschlichen und nichtmenschlichen Bewusstseins ist Nagels Frage nach der Fledermaus auch nach 40 Jahren von zentraler Bedeutung.

Aus gegenwärtiger Perspektive lassen sich Nagels Überlegungen weiterführen und als Aufforderung lesen, uns gegenüber anderem Leben und anderen Bewusstseinsformen respektvoller und bescheidener zu verhalten. Hier setzt die Ausstellung an. Das Gedankenexperiment mit der Fledermaus lädt ein, über nichtmenschliches Sein zu reflektieren und schlägt eine Brücke zu zeitgenössischem Denken, das sich mit ökologischen und posthumanistischen Fragestellungen beschäftigt und wie Nagel auch auf weniger mensch-zentrierte Positionen bei der Erforschung von Sinnesempfindungen und Subjektempfindungen pocht. Im Zentrum stehen Empathie und Koexistenz zwischen den Spezies im Zentrum. Dies, mit großer Dringlichkeit, denn wir Menschen benötigen angesichts einer #Welt am Rande des Klimakollaps neue Modelle für das Miteinander unterschiedlicher Lebensformen – Leben, das für eine intakte #Umwelt unerlässlich ist.

In diesem Gefüge, in dem sich naturwissenschaftliche Erkenntnisse, philosophische Problemstellungen und Fragen der Ethik aber auch Politik vermengen, vermitteln und spekulieren die künstlerischen Ansätze in der Ausstellung und forschen weiter. Sie schaffen einen Ort, an dem Emotionen und Erfahrungen einen zentralen Platz haben, wo kritische Fragen aufgeworfen und neue Perspektiven eingebracht werden. Alternative Wissenssysteme und die Natur sind darin Quellen von Erkenntnis, die die westliche, mensch-zentrierte Sicht erweitern und Realität, als eine Vielzahl von Konstruktionen, hinterleuchten. In Rückbezug auf Nagel fragt das Künstlerduo Zheng Mahler (Daisy Bisenieks und Royce Ng) aus Hongkong nach den Grenzen des menschlichen Apparatus und wie wir uns mittels Technologie in Übergangszustände zwischen menschlichem und mehr-als-menschlichem Bewusstsein versetzen können. Eine Virtual Reality Meditation, für die sich die Besucher*innen anmelden können, lädt zu einer solchen Erfahrung ein. Jenna Sutelas Objekte arbeiten mit Formen der Intelligenz, die nicht menschlichen, sondern pflanzlichen, tierischen und maschinellen Ursprungs sind. Zu sehen sind drei lavalampenartige Köpfe, die auch Ausgangspunkt der geisterhaften Fotogramme an den Wänden sind. Der Film Capture (2021) von Metahaven (Vinca Kruk & Daniel van der Velden) entlang überraschender Schnittmengen zwischen Teilchenphysik, Flechten und Fledermäusen eine spekulativ poetische Erzählung, die auch die großen Fragen in Philosophie, Wissenschaft und Alltag nicht ausklammert. Dorota Gawęda und Eglė Kulbokaitė schließlich fragen in Mouthless Part III (2023), wie Klimawandel und Technologisierung Einfluss auf die Repräsentation von #Natur nehmen. Ihre Landschaften bevölkern komplexe, widersprüchliche Wesen, die Natur zu einem Ort der Spekulation verwandeln.

Beteiligte Kunstschaffende

Dorota Gawęda (geboren 1986, Lublin, Poland) und Eglė Kulbokaitė (geboren 1987, Kaunas, Litauen) sind ein Künstlerinnenduo, das in Basel lebt und arbeitet. Beide schlossen 2012 ihr Studium am Royal College of Art in London ab. Ihre Arbeit umfasst Performance, Skulptur, Fotografie, Malerei und Video. Sie haben international ausgestellt, darunter: HEK, Basel (2021), Kunstverein Hamburg (2021), Bündner Kunstmuseum, Chur (2021), Kunstverein Leipzig (2021), Swiss Institute, New York (2020), Den Frie, Kopenhagen (2020), MWW, Wroclaw (2020), Kunstverein Düsseldorf (2020 und 2016), Lafayette Anticipations, Paris (2019), Palais de Tokyo, Paris (2018), 6. Athen Biennale (2018), MMOMA, Moskau (2018), Kunsthalle Basel (2017), ICA, London (2017), MOMA, Warschau (2016), Berlin Biennale 9 (2016), MaM, Paris (2015) und andere. Zu ihren Einzelausstellungen gehörten Präsentationen im Istituto Svizzero, Palermo (2021) Swimming Pool Projects, Sofia (2021), Lucas Hirsch Gallery, Düsseldorf (2021), Julia Stoschek Collection, Düsseldorf (2020), Trafo Gallery, Budapest (2020), Amanda Wilkinson Gallery, London (2020 und 2018), Fri Art – Centre d’Art de Fribourg / Kunsthalle Fribourg und Wallriss (2020), Futura, Prag (2019), Cell Project Space, London (2018). Sie haben auch an zahlreichen internationalen Residenzen teilgenommen, darunter Alserkal Arts Foundation, Dubai (VAE), La Becque, La Tour de Peilz (Schweiz), Onassis Air, Athen (Griechenland). Performance Art Award (2021) ausgezeichnet und sind für den Prix Mobilière (2022) nominiert. Sie sind auch die Gründerinnen der Young GIrl Reading Group (2013 bis 2021).

Das in Amsterdam lebende und arbeitende Duo Metahaven – Vinca Kruk (geboren 1980 in Leiden) und Daniel van der Velden (geboren 1971 in Rotterdam) – arbeitet mit Film, Design und Text. Zu ihren Filmen gehören unter anderem Chaos Theory (2021), Hometown (2018) und Information Skies (2016). Metahaven hat an Gruppenausstellungen im Artists Space, New York, im Museum of Modern Art Warschau, der Gwangju Biennale, Gwangju, der Busan Biennale, Busan, der Sharjah Biennale, Sharjah, und M HKA, Antwerpen, sowie an Einzelausstellungen im MoMA PS1, New York, Yerba Buena Center for the Arts, San Francisco, Izolyatsia, Kyiv, ICA London, E Flux, New York, und State of Concept Athen teilgenommen. Ihre Arbeiten befinden sich unter anderem in den Sammlungen der Sharjah Art Foundation, der National Gallery of Victoria, des Stedelijk Museum Amsterdam und des Victoria & Albert Museum. Zu den jüngsten Veröffentlichungen gehört der Essay Digital Tarkovsky (2018) in Buchform. Seit 2007 hat sich die Arbeit von Metahaven von grafischen Identitäten, Rauminstallationen und Publikationen bis hin zu Kleidungsstücken und Musikvideos erstreckt. In den letzten Jahren haben sich Metahaven vor allem dem bewegten Bild zugewandt und dabei auf investigative und spekulative Methoden zurückgegriffen, die sie im Rahmen ihrer Designarbeit einsetzen. Ihre Filme integrieren verschiedene Formen von Dokumentarfilmen und Spielfilmen, Essayfilmen und Poesie.

Jenna Sutela (geboren 1983 in Turku, Finnland) ist eine finnische Künstlerin, die in Berlin lebt. Sie arbeitet mit biologischen und computergestützten Systemen, darunter das menschliche Mikrobiom und künstliche neuronale Netze, um Skulpturen, Bilder und Musik zu schaffen. Sutelas Arbeiten wurden in internationalen Museen und Kunstkontexten präsentiert, darunter das Haus der Kunst, München (2022), das Castello di Rivoli (2022), das Kiasma Museum of Contemporary Art, Helsinki (2022), die Shanghai Biennale (2021), die Liverpool Biennale (2021), die Kunsthall Trondheim (2020), die Serpentine Galleries, London (2019) und das Moderna Museet, Stockholm (2019). In den Jahren 2019 bis 2021 war sie Gastkünstlerin am MIT Center for Art, Science und Technology (CAST).

Das Duo Zheng Mahler formiert sich durch die Anthropologin Daisy Bisenieks (geboren 1983) und dem Künstler Royce Ng (geboren 1983), die in Hongkong auf der Insel Lantau leben und arbeiten. Sie untersuchen die gegenseitige Beeinflussung und die Beziehungsnetze, die den globalen Handel, die Natur und die Technologie miteinander verbinden, mit einem besonderen Interesse an übermenschlichen Geografien und den Architekturen, die sie in der Umwelt hervorbringen. Mit Hilfe digitaler Medien, Performance und Installation entwickeln sie spekulative Szenarien und immersive sensorische Begegnungen, die die Grenzen und Möglichkeiten ihrer jeweiligen Disziplinen ausloten. Sie haben in zahlreichen Kunsträumen, Institutionen und Residenzen ausgestellt, performt und teilgenommen und mit verschiedenen Gemeinschaften in Australien, Asien, Afrika, Europa und den USA zusammengearbeitet. Zu den jüngsten Präsentationen gehören die im Tai Kwun Contemporary in Hongkong, im Museum für Moderne Kunst in Antwerpen und auf der Shanghai Biennale XIII (2021). Die Ausstellung wird mit freundlicher Unterstützung des Königreichs der Niederlande und der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia realisiert.

17. März bis 4. Juni 2023, Dorota GawÄ™da und EglÄ— KulbokaitÄ—, »Metahaven«, Jenna Sutela, Zheng Mahler, Ausstellungseröffnung
Donnerstag, 16 März 2023, 19 Uhr, »For Real«, Künstlergespräch zu Kunst, Technologie und Wissenschaft mit Dorota GawÄ™da und EglÄ— KulbokaitÄ—, Royce Ng (Zheng Mahler), Giulia Bini, Kuratorin EPFL CDH Air Programm »Enter The Hyper Scientific and Are You For Real« Phase II und Yasmin Afschar in Englisch, Freitag, 17. März 2023, 18 Uhr